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JOHANNESPASSION IM BERLINER DOM

Bild Konzept

Der gewaltsame Tod des Jesus von Nazareth in Jerusalem vor knapp 2000 Jahren ist ein markantes Datum in der Menschheitsgeschichte. Er führte zur Entstehung der grössten Religionsgemeinschaft der Welt und prägte nachhaltig die Entwicklung der westlichen Zivilisation.

In seiner Johannespassion von 1724 schildert Johann Sebastian Bach die Dramatik der letzten Tage im Leben Christi und reflektiert in eindringlichen Arien und Chören über die Bedeutung dieser Ereignisse für den einzelnen Menschen und die Christenheit. Die Johannespassion gilt als dramatisch und kühn, sie ist die jugendlichere unter den Passionen Johann Sebastian Bachs. Nie kam der Leipziger Thomaskantor dem Theater und der Oper näher als in diesem Werk mit seinen bewegten Massenszenen und seiner eindringlichen Schilderung der letzten Tage im Leben des Jesus von Nazareth nach dem Evangelisten Johannes.

Mit seiner ersten Bach-Arbeit "Flying Bach" hat Opernregisseur Christoph Hagel auf einer weltweiten Tournee die Grenzen zwischen Hochkultur und Jugendkultur neu definiert. Mit seiner Inszenierung der Johannespassion im Berliner Dom möchte er Bachs Werk über den Leidensweg Jesu von Nazareth den Menschen im urbanen Berlin des 21. Jahrhunderts zugänglich machen.

Sein Interesse an diesem religiösen Stoff gilt dem revolutionären Gedanken der Liebe, den Jesus vor über 2000 Jahren in eine Welt gebracht hat, die von Brutalität, Machtkämpfen und Habgier bestimmt war. "Die Geschichte von Jesus ist so fabelhaft, weil ein König ausnahmsweise einmal nicht unnahbar weit vom Volk entfernt war, sondern ganz unten im Stall in der Krippe zur Welt kam. Und dann sein Leben lang dafür gekämpft hat, auch die Menschen zu integrieren, die das damalige Establishment nicht am gesellschaftlichen, politischen und kirchlichen Leben teilhaben lassen wollte."

Ebenso fasziniert Hagel der Gedanke, dass "die Kreuzigung als brutalste und extrem erniedrigende Todesform die Basis für die westliche Zivilisation gelegt hat." Denn er sieht in Jesu Kampf um Leben und Tod den Ursprung des Mitgefühls, ohne das die Gründung eines Sozialstaats niemals denkbar gewesen wäre.

"Dieses Mitgefühl möchte ich spürbar machen durch die Inszenierung, wobei ich die spanische Bezeichnung ,compasión' passender finde: mit jemandem Leiden und Leidenschaft empfinden. Wenn das zwischen Tänzern und Publikum ebenso gelingt, wie Bach Musik und Wort verbunden hat, haben wir viel erreicht."

Hagel und sein Choreograf Martin Buczko, der bis vor kurzem Solotänzer am Staatsballett Berlin war und eigene Arbeiten im Berghain und der Komischen Oper vorgestellt hat, visualisieren die Dramatik der Ereignisse und die Emotionen der Beteiligten mit den Mitteln des modernen Tanztheaters. Sie wollen den dramatischen Kampf um das Leben und den Tod Jesu von Nazareth sichtbar machen. Aber sie wollen noch mehr: "Wir möchten nicht nur die Geschichte sichtbar machen, sondern auch die Kompositionsweise Bachs. Ob man Musik sehen kann, das ist hier die Frage."

Die Johannespassion unterscheidet deutlich zwischen den Ereignissen in Jerusalem und ihrer christlichen Betrachtung. Das historische Geschehen - der politische Mord an Jesus Christus in einer Stadt im Aufruhr - wird von Bach in großer Klarheit dargestellt und durch die Dissonanzen der Turba-Chöre auf die Spitze getrieben. Die seelische Verarbeitung bleibt den Arien und Chorälen vorbehalten. Hagel: "Diese scharfe Trennung zwischen objektiver und subjektiver Perspektive macht die Qualität der Johannespassion aus und wird ein wesentliches Gestaltungsmerkmal unserer Aufführung sein.""

Auf die abschließende Frage nach einer christlichen Botschaft der Aufführung antwortet Hagel: "Ob Gott Jesus in die Welt gesandt hat, ist schwer zu sagen. Aber Bach ganz bestimmt!"

Die Aufführungen in 2014 orientieren sich im Wesentlichen an der Inszenierung von 2013. Auf den Bühnenboden aus Erde wird jedoch verzichtet.